Kettenbefristungen
Häufig kommt es vor, dass einzelne Arbeitnehmer über viele Jahre immer nur befristete Arbeitsverträge erhalten. Man spricht in diesen Fällen von Befristungsketten, Kettenbefristungen oder Kettenarbeitsverträgen. Insbesondere im öffentlichen Dienst sind Arbeitnehmer, die schon über 10 Jahre und länger nur auf der Grundlage von befristeten Arbeitsverträgen tätig sind, keine Seltenheit (insbesondere bei Lehrern und pädagogischen Mitarbeitern).
In der Vergangenheit sind die Arbeitgeber mit einer solchen Vorgehensweise auch relativ unproblematisch durchgekommen, sofern nur ein „sachlicher Grund“ im Sinne des Teilzeit- und Befristungsgesetzes (TzBfG) für die jeweilige Befristung vorlag (z.B. Schwangerschaftsvertretung, Elternzeitvertretung usw. ). Dies hat sich durch eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs aus dem Jahr 2012 (Urteil vom 26.01.2012 – C-586/10) jedoch geändert.
Der wiederholte Abschluss befristeter Verträge kann rechtsmissbräuchlich sein
Das Bundesarbeitsgericht hat im Anschluss an diese Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs mit Urteil vom 18. Juli 2012 (Aktenzeichen 7 AZR 443/09) entschieden, dass die Befristung eines Arbeitsvertrages im Falle von mehrfach aufeinander folgenden befristeten Verträgen auch dann unwirksam sein kann, wenn an sich ein „sachlicher Grund“ für die Befristung im Sinne des Teilzeit- und Befristungsgesetzes vorliegt. Die Unwirksamkeit der Befristung könne sich daraus ergeben, dass der Arbeitgeber in rechtsmissbräuchlicher Weise von der Möglichkeit Gebrauch gemacht hat, den Arbeitsvertrag nur befristet abzuschließen. Bei der Prüfung der Rechtsmissbräuchlichkeit komme es auf sämtliche Umstände des Einzelfalls an, insbesondere aber auf die Gesamtdauer und die Anzahl der in der Vergangenheit mit demselben Arbeitgeber geschlossenen aufeinander folgenden befristeten Verträge. Diese Grundsätze hat das Bundesarbeitsgericht in einer jüngeren Entscheidungen bestätigt (vgl. BAG, Urteil vom 19.02.2014 – 7 AZR 260/12).
Das Bundesarbeitsgericht prüft die Rechtsmissbräuchlichkeit einer Kettenbefristung in zwei Schritten:
- Ist eine bestimmte Gesamtdauer des Arbeitsverhältnisses und/oder eine bestimmte Anzahl an Befristungen überschritten?
- Ergibt die Würdigung sämtlicher Umstände des Einzelfalls das Vorliegen eines Rechtsmissbrauchs?
Erster Prüfungsschritt: Gesamtdauer des Arbeitsverhältnisses und Anzahl an Befristungen
Damit eine Kettenbefristung wegen Rechtsmissbrauchs unwirksam sein kann, müssen bei der Gesamtdauer des Arbeitsverhältnisses und/oder bei der Anzahl der Befristungen vom Arbeitgeber Grenzen überschritten worden sein. Nur bei einem Überschreiten dieser Grenzen kommt eine Unwirksamkeit der Befristung wegen Rechtsmissbrauchs in Betracht.
Wo genau diese Grenzen liegen, hat das Bundesarbeitsgericht allerdings nicht ausdrücklich festgelegt. In einem Fall ist das Bundesarbeitsgericht bei einer Gesamtdauer des Arbeitsverhältnisses von mehr als 11 Jahren und einer Anzahl von 13 Befristungen davon ausgegangen, dass die Grenze zum Rechtsmissbrauch überschritten sein kann. Bei einer Gesamtdauer des Arbeitsverhältnisses von knapp 8 Jahren und 4 Befristungen hat das Bundesarbeitsgericht in einem anderen Fall dagegen angenommen, dass ohne das Hinzutreten weiterer Umstände noch kein Rechtsmissbrauch vorliegt. Die für die Möglichkeit eines Rechtsmissbrauchs maßgeblichen Grenzen liegen also grundsätzlich irgendwo zwischen 8 und 11 Jahren hinsichtlich der Gesamtdauer des Arbeitsverhältnisses und zwischen 5 und 13 Befristungen bei der Anzahl der Befristungen.
Zweiter Prüfungsschritt: Würdigung sämtlicher Umstände des Einzelfalls
Sind hinsichtlich der Gesamtdauer des Arbeitsverhältnisses bzw. der Anzahl der Befristungen die Grenzen zu einem möglichen Rechtsmissbrauch überschritten, ist in einem zweiten Schritt zu prüfen, ob aufgrund einer Würdigung sämtlicher weiterer Umstände des Einzelfalls tatsächlich ein Rechtsmissbrauch vorliegt.
Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts sprechen die folgenden weiteren Umstände für die Rechtsmissbräuchlichkeit der Befristung:
- der Arbeitnehmer wurde stets auf demselben Arbeitsplatz mit denselben Aufgaben beschäftigt
- beim Arbeitgeber besteht ein ständiger Vertretungsbedarf
- die Möglichkeit einer dauerhaften Einstellung war vorhanden
- die Laufzeit der einzelnen befristeten Verträge blieb zeitlich hinter dem erwarteten Vertretungsbedarf zurück
Die folgenden Umstände sprechen demgegenüber gegen die Rechtsmissbräuchlichkeit der Befristung:
- der Arbeitnehmer wurde mit wechselnden, unterschiedlichen Aufgaben beschäftigt
- beim Arbeitgeber besteht kein ständiger Vertretungsbedarf
- die Möglichkeit einer dauerhaften Einstellung war nicht vorhanden
- die Laufzeit der einzelnen befristeten Verträge blieb zeitlich nicht hinter dem erwarteten Vertretungsbedarf zurück
- bestimmte branchenspezifische Besonderheiten
Bei der Würdigung der Umstände des Einzelfalls ist die Verteilung der Darlegungs- und Beweislast von besonderer Bedeutung. Diese hängt davon ab, wie lange das Arbeitsverhältnis insgesamt dauerte und wie viele Befristungen vorliegen. Wenn das Arbeitsverhältnis besonders lange bestand und/oder wenn eine besonders hohe Anzahl an Befristungen vorliegt, haben die Arbeitsgerichte zunächst einmal vom Vorliegen eines Rechtsmissbrauchs auszugehen. Es ist dann Sache des Arbeitgebers, die grundsätzlich anzunehmende Rechtsmissbräuchlichkeit der Kettenbefristung zu widerlegen. Dazu muss er ausreichend gewichtige, konkrete Umstände vortragen, die gegen die Rechtsmissbräuchlichkeit sprechen und diese bei Bestreiten durch den Arbeitnehmer beweisen. Gelingt ihm dies nicht, hat das Arbeitsgericht von Rechtsmissbrauch auszugehen. Auf gar keinen Fall ausreichend ist es, wenn der Arbeitgeber einfach nur vorträgt, dass die Befristung durch das Vorliegen eines Sachgrundes im Sinne des § 14 Abs. 1 Teilzeit- und Befristungsgesetzes (TzBfG) gerechtfertigt ist.
Bestand das Arbeitsverhältnis insgesamt noch nicht besonders lange und liegt auch keine besonders hohe Anzahl an befristeten Verträgen vor, wäre es zunächst einmal Sache des Arbeitnehmers, weitere Umstände vorzutragen, aus denen sich eine Rechtsmissbräuchlichkeit ergibt.
Fazit
Alle Arbeitnehmer mit befristeten Arbeitsverträgen, die insgesamt bereits seit 10 Jahren oder länger bei ein und demselben Arbeitgeber aufgrund von befristeten Arbeitsverträgen beschäftigt sind, können die berechtigte Hoffnung haben, dass die Befristung ihres aktuellen Arbeitsvertrages unwirksam ist. Gleiches gilt für Arbeitnehmer, die mit ein und demselben Arbeitgeber 10 oder mehr befristete Arbeitsverträge bzw. Verlängerungen abgeschlossen haben. Folge einer unwirksamen Befristung ist das Bestehen eines unbefristeten Arbeitsverhältnisses.
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